Story

Unverkennbar wie ein Augapfel
Text: Lars Thieleke | Fotos: Breuninger/Thomas Niederrmüller, RUF Automobile GmbH, Martin Koziel

Individualisierung im Massenmarkt ist nicht mehr bloß Trend, sondern längst Grundbedürfnis. Personalisierte Handytarife und Turnschuhe kennen wir, mittlerweile zeigen Fachgewerbe etwa mit maßgeschneiderten Supersportwagen oder beweglichen Glasdächern, wie weit Individualisierung wirklich gehen kann. Wo wird das vorgelebt?

Pfaffenhausen, Unterallgäu. 2525 Einwohner bei einer Bevölkerungsdichte von 119 Einwohnern pro Quadratkilometer. Perfekte Bedingungen für Tüftler. Hier ist neben dem Fassadensystemhaus RAICO auch der weltweit renommierte Sportwagenhersteller RUF beheimatet. Was diese beiden Paralleluniversen verbindet, ist eine unverwüstliche Begeisterung für Sonderlösungen. „Bei uns gibt es keinen automatisierten Prozess, jedes Teil wird mit der Hand verarbeitet“, sagt Marcel Ruf und erklärt: „Ein Kunde kann während der Bauzeit seines Autos kommen, wann immer er möchte, und in der Werkstatt zugucken, wie wir die Schrauben bewegen. Er kann sich immerhin nahezu jede Schraube selbst aussuchen.“ 

Perfekt individualisiert: Stuttgarts Dorotheen Quartier mit beweglicher Bergkristall-Dachlandschaft
Perfekt individualisiert: Stuttgarts Dorotheen Quartier mit beweglicher Bergkristall-Dachlandschaft

Auf Basis von Porsche-Fahrzeugen baut seine Firma neue Supersportwagen mit eigenen Fahrgestell­nummern, innovativen Technologien und grenzenlos individualisierten Details. 30 Exemplare im Jahr, ausschließlich auf Bestellung, davon ganze drei Modelle des Flaggschiffs RUF CTR3 Clubsport mit 777 PS und 980 Nm Drehmoment. Einen solchen gab kürzlich ein Kunde aus Florida in Auftrag – das Modell wird RUF-intern „Deutschland Edition“ genannt. Der Kunde wünschte sich eine Außenhaut aus Carbon, bei der das Carbon erst auf den zweiten Blick erkennbar ist. Also lackierte das RUF-Team die komplette Außenhaut schwarz, um das Carbon abzudunkeln. Dann das: „Der Kunde wünschte sich auf der Fahrerseite einen rot und auf der Beifahrerseite einen golden lackierten Streifen von vorn nach hinten. Nach dieser Seitenaufteilung haben wir auch die Farbe der Nähte in den Sitzen, die Farbe der Bremssättel und -federn und sogar die der RUF-Logos in den Felgen berücksichtigt“, berichtet Marcel Ruf. Der Kunde wollte zeigen, dass sein Auto aus Deutschland kommt. „Engineered in Germany“ ist ein weltweit gültiges Qualitätsprädikat. 

Superflitzer CTR3 „Deutschland Edition“ von RUF
Superflitzer CTR3 „Deutschland Edition“ von RUF

Obendrein fährt im Deutschland-CTR3 ein maßgeschneidertes HIFI-System mit Lautsprechern im Himmel mit. Und RUFs hydraulisches Liftsystem: Das hebt den Wagen etwa beim Rangieren in der Tiefgarage um fünf Zentimeter an und senkt ihn über 60 km/h automatisch wieder ab. Standardausrüstung aller RUF-Fahrzeuge. Die Produktionszeit dieses CTR3 lag bei etwa vier Monaten. Kostenpunkt: 700.000 Euro Nettopreis. Marcel Ruf: „Individualisierung ist unser wichtigstes Verkaufs­argument. Wenn der Kunde nach drei Jahren anruft und einen Service durchführen lassen möchte, dann steigt der exakt selbe Mechaniker ins Flugzeug, der einst sein Auto gebaut hat, und reist zu ihm.“ Die individualisierte Form von After Sales. 

Individualisiert bis ins Mark: Golden gefärbte Elemente links, Rote rechts
Individualisiert bis ins Mark: Golden gefärbte Elemente links, Rote rechts
Dorotheen Quartier, Stuttgart

Seit Mai 2017 hat auch Stuttgarts Stadtmitte an Individualität gewonnen: mit dem neuen Dorotheen Quartier. Schmuckstück des Komplexes ist seine Dachlandschaft. Günter Klughammer, Objekttechniker bei RAICO: „Sie ist einem Bergkristall nachempfunden, besteht aus zahlreichen Weißglas-Elementen in den unterschiedlichsten Neigungen und weist fließende Übergänge ohne optische Störer durch Profilleisten auf.“ 

 Gleich mehrere Einzel- und Sonderlösungen waren gefordert, um dem Dach, das man aufgrund von Stuttgarts Kessellage bereits aus der Ferne sieht, die gewünschte Bergkristall-Anmutung zu verleihen. „Zum Beispiel haben wir ein völlig neues, einmaliges Öffnungselement entwickelt“, sagt Klughammer und erklärt: „In der Regel stehen Lüftungsflügel 10 cm über die Dachfläche hinaus. Wir haben ein System entworfen, das bündig zur Glasfläche ist.“ Mit Radarüberwachung, damit niemand hineingreift, wenn die Klappen per Motor auf- oder zufahren. 

Die größte Herausforderung für das Team um Günter Klughammer lag darin, dass die Stahl-Glas-Konstruktion einen extrem hohen Bewegungsspielraum verlangte. Denn die weichen Betondecken, an denen die Stahlbügel befestigt wurden, können sich durch die Verkehrslasten an den unterschiedlichen Befestigungspunkten zwischen 5 und 12 mm nach unten bewegen. „Dadurch verformt sich die gesamte Stahlkonstruktion. Damit die Gläser nicht brechen, haben wir sehr breite Auflagendichtungen geschaffen. So kann das Glas in der sich verformenden Konstruktion bei voller Funktionsfähigkeit der Dichtung noch wandern“, so Klughammer. Diese bewegliche Dachlandschaft zeigt ebenso wie der „Deutschland CTR3“, welchen Unterschied eine gekonnte Sonderlösung macht.

Architekt Jürgen Bahl kennt die Parallelen zwischen einer Raico-Fassade und seinem Ruf RT12
Architekt Jürgen Bahl kennt die Parallelen zwischen einer Raico-Fassade und seinem Ruf RT12