Arbeitstag im ewigen Eis
Text: Lars Thieleke
Büro zu klein? Kollegen zu laut? Wer sich über seinen Arbeitsplatz beschwert, darf mit Martin Moser tauschen. Der Monteur arbeitet auf Deutschlands höchster Baustelle unter antarktischen Bedingungen: Gemeinsam mit seinen Kollegen modernisiert er die ehemalige Eibsee-Seilbahn auf der Zugspitze. Wir haben Martin begleitet, um zu erfahren, wie sich ein Arbeitstag bei minus 20 Grad in fast 3.000 Metern Höhe anfühlt.
„Nachdenken macht Angst. Angst ist schlecht. Deswegen denke ich nicht so viel nach“, sagt Martin Moser und drückt den Akkuschrauber in die Fassade. Sein Arbeitsplatz ist ein Gerüst auf fast 3.000 Metern Höhe – so dick vom Eis ummantelt, als stünde es im Reich der Frostriesen. Genau genommen, tut es das auch: Auf Deutschlands höchstem Berg liegt selbst dann Schnee, wenn sich die Menschen unten im Tal in Badehose oder Bikini am Eibsee tummeln. Wenn er früh morgens seinen Rucksack packt, um kurz darauf mit der Seilbahn zum Gipfel aufzubrechen, nimmt Martin nur die unverzichtbaren Ausrüstungsgegenstände mit: eine Skibrille gegen Schneeblindheit, Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 50 und Thermo-Unterwäsche. „Ich bin nicht kälteempfindlich, vier Schichten obenrum genügen. Aber manche Kollegen tragen drei Paar Socken übereinander, damit ihnen die Zehen nicht abfallen“, erzählt der 33-Jährige.
Permafrost an der Bergstation. Nicht selten sinken die Temperaturen auf unter minus 20 Grad. Heute ist es mit minus fünf Grad vergleichsweise mediterran, und doch macht Martin der eisig trockene Wind zu schaffen. „Ich wechsle täglich mehrfach die Thermo-Handschuhe und schmiere mir während der Arbeit regelmäßig die Hände mit Nivea-Creme ein, damit meine Finger nicht aufplatzen.“ Die Finger gehorchen ihm nicht. Wie auch, wenn er immer wieder die nassgefrorenen Handschuhe abstreifen und kleinere Schrauben von Hand drehen muss. Doch die Kälte ist in seinem Arbeitsalltag nicht die einzige ernstzunehmende Gefahr: „Man muss sich auf dem Gerüst sehr gedankenwach bewegen, um nicht auszurutschen oder vom Wind aus dem Gleichgewicht gebracht zu werden. Man braucht von Natur aus eine gewisse Trittsicherheit und darf keine Höhenangst haben. Und an den dünnen Sauerstoff muss man sich gewöhnen, da wird einem anfangs schon mal schummrig“, sagt der dreifache Vater. Glücksbringer hält Martin jedoch für Schmarrn. Und auf die Frage, ob er sein Glück denn mit abergläubischen Ritualen beschwöre, kontert er scherzhaft: „Die Unterhose nur einmal im Monat wechseln.“
Bevor im Frühjahr 2015 die Modernisierung der über 50 Jahre alten Berg- und Talstation der Zugspitz-Seilbahn begann, hatte das Statikkonzept der Baucon aus Wien und der Entwurf des Architekturbüros Hasenauer.Architekten aus Saalfelden den Zuschlag erhalten. Federführend bei der Gestaltung war Sebastian Kroesen, dessen Idee von Beginn an überzeugte: Er schlug eine großzügige Aussichtsterrasse am Gipfel vor und empfahl eine Restaurant-Erweiterung, in der die Besucher das volle Nordpanorama genießen können. Laut Kroesen interessieren sich die Gäste auf der Zugspitze nämlich vor allem für zwei Dinge: das Gipfelerlebnis mit der Aussicht und das Verweilen – und dazu gehört eben Gastronomie.
Das Gipfelerlebnis intensivieren. Um diese Idee schließlich in die Tat umzusetzen, bedurfte es einer kühnen Auskragung an der Nordseite des Grats, die über das mit etwa 45 Grad von unten ankommende Seil hinausgeht. Die neue Seilbahn musste nordseitig vor dem Grat positioniert werden, in einem Bereich, in dem die Klüfte und der Permafrost eine direkte Fundierung in die Bergstruktur verhindern. Das ausgeklügelte statische Konzept von Baucon machte es möglich. Nun spannt der Bau die erheblichen Zugkräfte der Seilbahn und Auskragung durch das gesamte bestehende Gebäude bis auf die andere Seite des Gipfelgrats.
Das Knifflige dabei: Während die statischen Belastungen aus der Seilbahn und die Nutzlasten grundsätzlich kalkulierbar waren, fielen die Berechnungen für Wind- und Schneelasten in solch exponierter Lage deutlich aus der Norm. Deshalb mussten die Werte durch Wacker Wind Ingenieure anhand eines Windkanalmodells für die verschiedenen Geometrien der Fassadenbereiche ermittelt werden. Spannend war überdies die Frage: Wie baut man in einen Stahlbau, der so große Kräfte ableitet, eine warme Hülle hinein? Kroesens Lösung besteht darin, dass er die großen Kurvaturen kalt lässt, weil sie seilbahndurchdrungen und nicht abschließbar sind. In diese kalte Stahlstruktur plante er warme Räume nach dem Box-in-Box-Prinzip mit so wenig Durchdringungen wie möglich. Für Martin fühlt sich die Bergstation auch nach vier Monaten nicht wie ein Warmraum an – allerdings beinahe wie eine ganz normale Baustelle. Beinahe. Denn da der Tourismusbetrieb uneingeschränkt weiterlaufen soll, klettert jeden Morgen einer der Alpin-Monteure auf den Kran und befreit ihn mit einem Föhn vom Eis – damit die Besucher nicht von herabfallenden Eiszapfen erschlagen werden. Immerhin: Es gibt einen Kran auf dem Gipfel. Hubschrauber haben den Beton für das Kranfundament auf den Berg geflogen, die ersten Anker sind in Bergpionierarbeit mit besseren Handbohrmaschinen 15 Meter tief in den Fels gebohrt worden, bevor schließlich ein größerer, russischer Hubschrauber im Sondereinsatz die Kranteile geliefert hat. Neben dem Kran wurde ein weiteres Hilfsmittel errichtet, um das Bauen am Gipfel zu normalisieren: eine Materialseilbahn. Sie verläuft parallel zur Personenseilbahn, befördert Werkzeug, Stahlprofile und Material zur Bergstation und soll nach verrichtetem Dienst Ende des Jahres 2017 wieder abgebaut werden.
Acht Kilo abgenommen – so lautete Martins Bilanz nach seinen ersten fünf Wochen auf der Zugspitze. Und das, obwohl er mittags meist Currywurst mit Pommes bestellt. „Ich verbrenne es ja“, sagt er und ergänzt: „Am Abend bekommen wir die restlichen Laugenbrezeln aus dem Restaurant und tagsüber immer Gummibärchen, aber all you can eat.“ Gegen sieben Uhr abends fährt er mit der Seilbahn abwärts und freut sich auf eine heiße Dusche im Hotelzimmer. Und gelegentlich auf eine besondere Belohnung: „Normalerweise bin ich abends recht müde, nur manchmal gehe ich mit den anderen ein Feierabendbier trinken. Aber wenn, dann am liebsten ein Augustiner vom Fass.“
Welche Fassade hält Wind und Schnee stand? Für die Berg- und Talstation der Zugspitz-Seilbahn kommen die Systeme THERM+ A-I 56 mm und THERM+ H-I 56 mm mit einer Stahlunterkonstruktion zum Einsatz. Gleichermaßen bei den Schrägen und Dachverglasungen. Hier kommt eine der Stärken dieser Systemreihe zum Tragen: Ihre unterschiedlichen Bauteile sind modular aufgebaut und so beinahe grenzenlos kombinierbar.